Simon Reifeisen
Simon, auch Siegmund genannt, Reifeisen, geboren am 15.11.1892 in Bolechow, Polen/Großösterreich. Die Familie war schon sehr lange dort ansässig.
Simon Reifeisen hatte zwei Brüder und drei Schwestern. Der Vater von Simon Reifeisen, Leib Bär Reifeisen, war Geldhändler/Pfandleiher, er verlieh an Bauern Geld. Er ist sehr früh verstorben.
Simon Reifeisen war der Älteste. Ab 1915 diente er in der österreichischen Armee, wurde gefangen genommen und kam in russische Gefangenschaft. Hier ist ihm die Nase abgefroren, die weiße Stelle konnte man später immer noch sehen.
Wie Simon Reifeisen nach der russischen Gefangenschaft nach Dorsten kam, ist unbekannt.
In der Dorstener Volkszeitung erscheint am 7. Dezember 1922 zur Eröffnung des Geschäftes ein Inserat:
„Eröffnung unseres Konfektionshauses. Wir führen Herrenkleidung fertig und nach Maß in bester Verarbeitung, noch sehr billig, weit unter Tagespreisen. Besonderen Wert legen wir auf unsere große Maßabteilung, die unter Leitung eines ersten Fachmannes nur das Beste unter Garantie tadellosen Sitzes liefert.
Reifeisen & Co. Hamborn. Filiale Dorsten, Essener Straße 16“
Es waren 3 Angestellte beschäftigt, bei Ausverkauf auch schon mal 5 Angestellte. Simon Reifeisen nutzte sehr oft das Medium Zeitung z.B. mit Anzeigen:
„Warum warten Sie? Unsere Preise sind derart niedrig, dass es für jedermann leicht ist, seine Anschaffungen für die Feiertage und das Frühjahr, trotz der schlechten wirtschaftlichen Lage, zu machen.“
Oder „Allen Gewalten zum Trotz sich erhalten! Das ist und bleibt trotz aller Angriffe unsere Parole! Deshalb veranstalten wir dies. Mal etwas ganz Außergewöhnliches.
Morgen geht es los! Morgen erscheinen unsere Preisangebote!
Reifeisen & Co., GmbH Dorsten, Essener Str. 16“ vom 21. November 1924.“
1923 wollte Simon Reifeisen durch Erwerb der preußischen Staatsangehörigkeit eingebürgert werden. Die Ermittlungen der Behörden, die aufgrund seines Antrages erfolgten, brachten keine negativen Erkenntnisse über Reifeisen. Dennoch wurde er nicht eingebürgert. Die Gründe hiefür sind unbekannt.
Simon hatte studiert, im Geschäft in Dorsten hingen sehr viele eingerahmte Diplome an den Wänden. Die Tochter erinnert sich an Jura und Sprachen. Er konnte fließend polnisch,
russisch, deutsch, englisch und auch ein wenig französisch.
Simon Reifeisen lernt Gertrud Anna Spanier kennen und sie verloben sich. Am 26. Oktober 1924 heiraten sie im Hotel Berliner Hof in Gelsenkirchen. Eine Doppelhochzeit. Auch der Bruder der Braut, Willy Spanier heiratet Claire Heumann.
Simon und Gertrud Reifeisen wohnen über dem Geschäft in der Essener Straße 16.
Gertrud Anna Margaretha Reifeisen und Ilse Reifeisen
Gertrud Anna Margaretha Spanier, auch Trude genannt, geboren am 12. Mai 1895 in Herford, zieht mit den Eltern von Herford nach Gelsenkirchen, weil der Bruder von Gertrud ein Geschäft eröffnen will. Gertrud arbeitet als Sekretärin, später hilft sie ihrem Mann im Geschäft in Dorsten und übernimmt die Buchhaltung.
Am 15. Dezember 1926 verkündet stolz eine Anzeige in der Dorstener Zeitung über die Geburt von Ilse Reifeisen:
„Die glückliche Geburt eines gesunden, kräftigen Mädchens zeigen hocherfreut an
Siegmund Reifeisen und Frau Gertrud, geb. Spanier, Dorsten, 12. Dezember 1926,
z.Zt. St. Elisabeth-Hospital.“ *
Ilse wächst als Einzelkind sehr behütet auf. Sie besucht den Kindergarten, dann die Mittelschule von St. Ursula. Sie ist sehr gern in die Schule gegangen, aber Alpträume hatte sie immer von einem besonders dunklen Gang in der Schule, wo im Keller Gedenkplatten für die Verstorbenen lagen.
Ilse erinnert sich besonders an die Schulkameradin Agathe Duesberg, sie hatten ab 1936 den gleichen Schulweg. Kurz vor dem Haus der Duesbergs haben sich die Mädchen getrennt, weil der Vater in der Partei war und den Umgang nicht geduldet hätte.
Die Familie Reifeisen hatte oft Gäste zu Besuch. Sie legten sehr viel Wert auf Etikette. Zum Essen musste sich umgezogen werden. Mittags sprach man Englisch miteinander, damit die Tochter Ilse auch diese Sprache erlernen konnte.
Gertrud Anna Margaretha Spanier, auch Trude genannt, geboren am 12. Mai 1895 in Herford, zieht mit den Eltern von Herford nach Gelsenkirchen, weil der Bruder von Gertrud ein Geschäft eröffnen will. Gertrud arbeitet als Sekretärin, später hilft sie ihrem Mann im Geschäft in Dorsten und übernimmt die Buchhaltung.
Am 15. Dezember 1926 verkündet stolz eine Anzeige in der Dorstener Zeitung über die Geburt von Ilse Reifeisen:
„Die glückliche Geburt eines gesunden, kräftigen Mädchens zeigen hocherfreut an
Siegmund Reifeisen und Frau Gertrud, geb. Spanier, Dorsten, 12. Dezember 1926,
z.Zt. St. Elisabeth-Hospital.“ *
Ilse wächst als Einzelkind sehr behütet auf. Sie besucht den Kindergarten, dann die Mittelschule von St. Ursula. Sie ist sehr gern in die Schule gegangen, aber Alpträume hatte sie immer von einem besonders dunklen Gang in der Schule, wo im Keller Gedenkplatten für die Verstorbenen lagen.
Ilse erinnert sich besonders an die Schulkameradin Agathe Duesberg, sie hatten ab 1936 den gleichen Schulweg. Kurz vor dem Haus der Duesbergs haben sich die Mädchen getrennt, weil der Vater in der Partei war und den Umgang nicht geduldet hätte.
Die Familie Reifeisen hatte oft Gäste zu Besuch. Sie legten sehr viel Wert auf Etikette. Zum Essen musste sich umgezogen werden. Mittags sprach man Englisch miteinander, damit die Tochter Ilse auch diese Sprache erlernen konnte.
Gertrud Reifeisen war nicht sehr religiös, aber die Familie ihres Mannes sehr. So brachte die Schwiegermutter aus Polen bei Besuchen ihre eigenen Töpfe mit, weil der Haushalt in Dorsten ihr nicht koscher genug war. Simon Reifeisen ging mit Ilse zu den Hohen Feiertagen in die Synagoge in Dorsten. Es wurden aber auch christlichen Feiertage begangen, der Weihnachtsbaum und die Geschenke waren jedes Jahr vorhanden.
Mit Ida Schöndorf hat Ilse in den hinteren Räumen der Synagoge Wiesenstrasse hebräische Buchstaben erlernt.
1936
Reifeisens dürfen das Geschäft in der Essener Strasse 16 nicht weiter ausüben und ziehen um in die Essener Straße 22 in ein angemietetes Geschäftslokal von der jüdischen Familie Perlstein. Die Geschäftsräume waren wesentlich kleiner. Sie mussten auch in eine andere Wohnung umziehen.
28. Oktober 1938
Nachmittags nach Schulschluss kommt Ilse Reifeisen nach Hause, wo zwei Polizisten in Uniform und ihre Mutter auf sie warten. Die Mutter und sie werden direkt in das Gefängnis von Dorsten gebracht, wo ihr Vater Simon Reifeisen schon morgens eingesperrt worden war.
Ein Raum ohne Fenster, nur zwei Pritschen waren vorhanden.
Am nächsten Morgen wurden sie mit Polizeibegleitung zum Bahnhof Dorsten gebracht und dann weiter mit der Bahn nach Essen transportiert. Ilse Reifeisen erinnert sich nur an einem großen Versammlungsplatz in Essen, evtl. war die spätere Unterbringung in einer Schule. Sie saßen in einem Raum, ganz eng, dicht an dicht. Es wurden Butterbrote, zum Teil mit Schinken ausgegeben. Einige haben aus religiösen Gründen nichts gegessen. Ob sie dort einen Tag oder mehrere Tage verbracht hat, daran erinnert sich Ilse Reifeisen nicht mehr. Nur an die Zugfahrt ab Essen, sehr enger Waggon. Auf jeden Fall fuhr der Zug über Berlin. Sie erinnert sich an die vielen Lichter in der Nacht. Kurz vor der polnischen Grenze stoppte der Zug und alle, die gehen konnten, mussten aussteigen. Gertrud Reifeisen war herzkrank und ist mit dem Zug weitergefahren. Ilse ist mit dem Vater ausgestiegen. Eine 10er Reihe wurde gebildet und rechts und links gingen Soldaten mit Hunden. Wie weit sie gehen mussten, weiß sie nicht mehr. Aber plötzlich wurde von polnischer Seite geschossen. Ilse und der Vater haben sich hingeworfen und der Vater lag eine Weile beschützend über sie. Irgendwann sind sie weitergegangen und in Polen in Zbąszyń angekommen.
Rund 10000 Juden mit einem polnischen Pass wurden dort hin gebracht. Die kleine Stadt war überfordert. Mehrere Stunden saß Ilse in einem Pferdestall, in einem dunklen Gebäude. Ihr Vater hatte sie dort abgesetzt und suchte nach der Mutter. Er hat die halbe Nacht gesucht. Sehr spät kam er mit der Mutter zurück und beide waren sehr müde. Es wurde Brot ausgegeben und Ilse musste sich anstellen, weil ihre Eltern zu müde waren. Ca. 4 oder 5 Tage haben sie nur mit einer Decke in diesem Pferdestall ausgeharrt. Dann brach eine Epidemie aus. Ihr Vater sagte nur, jetzt ist es genug und besorgte ein winziges Zimmer in der Stadt. Man musste sehr viel dafür bezahlen. Die ganzen Bewohner der Stadt hatten Untermieter. In der Stadt haben sie auch die Familie Schöndorf aus Dorsten getroffen.
Es war eine sehr kalte Zeit in Polen in Zbąszyń.
In Zbąszyń wurden ihrem Vater Dokumente zugestellt. Er sollte nur unterschreiben, damit sein Geschäft in Dorsten aufgelöst würde. Der Vater wollte dies aber nicht. Er hat die Bedingung gestellt, nur wenn er wieder einreisen dürfte, würde er die Unterschrift zum Verkauf des Geschäftes leisten. Im März 1939 erhielten sie eine Wiedereinreise für Deutschland. Die Einreise war nur für ein paar Tage befristet. Diese Frist haben die Eltern aber verstreichen lassen. In Dorsten war das Geschäft während der sechsmonatigen Abwesenheit schon abgewickelt, die Wohnung aufgelöst. Sie kamen bei der Großmutter, mütterlicherseits in Gelsenkirchen unter, die ihre Wohnung schon verkleinert hatte.
Simon Reifeisen wird zwangsverpflichtet zur Arbeit. Auch wird er oft geholt um polnische, russische oder andere Schriftsätze zu übersetzen. 1939 kommt er in das Gefängnis von Gelsenkirchen. Im Dezember 1939 verabschiedet sich Ilse von ihrem Vater im Gefängnis von Gelsenkirchen. Hier sieht sie ihn zum letzten Mal.
Die Eltern haben sich um eine Ausreise nach Amerika bemüht. Aber die Nummer wurde nie aufgerufen. Und auch um eine Ausreise nach Südamerika, nach Chile, weil der Bruder der Mutter 1933 dort hin ausgewandert war. Nach Israel, wo zwei Schwestern von Simon wohnten und auch nach Russland. Sie fanden keine Aufnahme.
Im Dezember 1939 bringt Gertrud Reifeisen die Tochter Ilse nach Berlin und von dort fährt sie mit einem Kindertransport nach Schweden / Göteborg. Zunächst wird sie mit weiteren 20, zum Teil noch wesentlich jüngeren jüdischen Kindern aus Deutschland, in einem Waisenhaus untergebracht. Die erste Zeit, das Einleben in der anderen Sprache, in der fremden Welt, war nicht sehr leicht. Dann kommt sie in eine Pflegefamilie, die sich sehr um sie gekümmert haben und später, sehr viel später, wo sie schon verheiratet war, adoptiert haben.
Gertrud und Simon Reifeisen schicken der Tochter Ilse von Dezember 1939 bis Januar 1942 regelmäßig Briefe. Aus den letzten Briefen von 1942 hier ein paar Auszüge:
Brief vom 14. Januar 1942:
„Mein liebes Ilsechen,
uns wurde der 25.1. angegeben, also – falls keine Änderung eintritt – kann ich dir ab 22.1. nicht mehr schreiben. Wir wissen nicht wie sich dort das Leben für uns gestalten wird, man spricht von einem Gemeinschaftsleben, also soundsoviele Menschen in einem Raum, der als Wohn- und Schlafraum dient, Männer und Frauen werden arbeiten. Nun, das Arbeiten schreckt mich ja nicht, wenn man dabei nur satt wird und lässt sich die Zeit wohl auch überbrücken und dann müssen wir eben später vollständig von vorn anfangen. Für uns ist es ein Lichtblick, dass du herausgerettet bist. Also nochmals – eventuelle musst du dich an das Rote Kreuz wenden um mit uns in Verbindung zu bleiben. Vielleicht sehe ich auch zu schwarz..
Mutti“
Brief vom 19. Januar 1942:
„Mein liebes Ilsekind!
Wir haben nur wenig Zeit zum Schreiben, uns bleiben nur noch 2 Tage, ab Donnerstag den 22, haben wir Ausgehverbot. Werde ein tüchtiges Mädel, strebe vorwärts, versuche immer wieder für uns die Einreise zu erhalten, vielleicht können wir dann doch aus dem Osten nach dort kommen.
Ob Oma hier bleiben kann, ist sehr fraglich, man nimmt auf ihre 74 Jahre und ihre Leiden keine Rücksicht. 2 Tage werden wir hier erst zur Kontrolle festgehalten und gesammelt, und dann sollen wir 4 Tage unterwegs bleiben. Ein Glück, dass du allem nicht ausgesetzt bist, wie es die alten Leute und die Kinder überstehen sollen ist uns allen ein Rätsel. Das Schicksal meint es sehr hart mit uns.“ *
Brief vom 21. Januar 1942:
„Mein liebes Ilsechen,
nun muss ich dir leider mitteilen, das wir ab Freitag gesammelt werden und fahren am 26. oder 27.ten ab. Nun sei fleißig, treu und brav. Wir haben noch viel Arbeit. Lasse im Eifer zum Lernen nicht nach und bemühe dich, die beste Schülerin zu sein. Wir nehmen einen Rucksack, einen Koffer und ein Bett jeder mit. Hoffentlich geht alles gut.“
Ilses Karte an die Eltern vom Februar 1942 kommt zurück mit dem Vermerk, dass der Empfänger unbekannt verzogen ist. *
Ein Überlebender schildert den Transport nach Riga wie folgt: „In der Rundhalle auf dem Wildenbruchplatz in Gelsenkirchen sammelten die Nazis die Juden aus Recklinghausen, Herne, Dorsten und Gelsenkirchen. Dort gab es die erste Tote zu beklagen. Selbstmord. Eine Frau hatte sich mit einer Gabel die Kehle durchstochen. Erst am Dienstag, 27. Januar, sind wir morgens um drei Uhr im Güterbahnhof Gelsenkirchen verladen worden. Der Transport bestand aus 1000 Personen, die einer ungewissen Zukunft entgegenfuhren. Bei 30 Grad unter Null in unbeheizten Wagen, ohne Wasser und sonstige Verpflegung, war die Fahrt eine Hölle.“
Vom Gelsenkirchener Güterbahnhof aus führte die Deportationsroute über Dortmund und endete am Rigaer Bahnhof.
Das Jüdische Hilfskomité in Gelsenkirchen teilte Ilse am 18. Januar 1946 mit:
Nach den uns vorliegenden Auskünften Überlebender ist das Schicksal des Nachgenannten:
„Reifeisen, Simon: Tötungsaktion Krebsbach , KZ Kaiserwald/Riga.“
Das Central Committee of Liberated Jews in der amerikanischen Zone teilte Ilse am 31. Oktober 1946 folgendes über die Mutter mit:
„Frau Gertrud Reifeisen wurde im Februar 1942 mit einem Transport ins Ghetto nach Riga/Lettland gebracht, von dort in das KZ Kaiserwald/Riga und von dort in das KZ Stutthof bei Danzig. Frau Reifeisen war noch im November 1944 im KZ Stutthof als eine grosse Typhusepidemie ausbrach. Direkte Zeugen für ihren Tod sind nicht vorhanden, jedoch ist Frau Reifeisen bisher nicht wieder hier aufgetaucht.“
Paten:
Jüdisches Museum Westfalen, Elisabeth Cosanne-Schulte-Huxel
Verein für Orts- und Heimatkunde Dorsten