Essener Str. 18 / 20

Wachsames erinnern ist Schutz der Freiheit !

Geschichte und sei sie noch so furchtbar – verblasst schnell. Dementsprechend geht es darum aus der Erinnerung immer wieder eine lebendige Zukunft entstehen zu lassen, nicht um das Entsetzen zu konservieren, sondern um Lehren zu ziehen, auch und insbesondere als Orientierung für die zukünftige Generation. Erinnern ist notwendig, denn nur der bewusste Umgang mit der Geschichte, mit unserer Geschichte, ist das moralische Fundament für die Zukunft. Erinnerung gibt Kraft, weil sie Irrwege vermeiden hilft. Ohne Erinnerung gibt es weder das Überwinden des Bösen, noch lehren für die Zukunft.

Rita Süßmuth sagte als Bundestagspräsidentin „wachsames Erinnern ist Schutz der Freiheit“ und sie führte weiter aus:
„Machen wir uns noch einmal bewusst:  Gedenken – gemeint ist wiederkehrendes Gedenken – geschieht zur Wahrung der Menschlichkeit.  Es fesselt nicht mehr an die Vergangenheit, sondern schafft Zukunft. Die Erinnerung an das Negative der eigenen Vergangenheit schwächt nicht, wie wir befürchten, sondern befreit aus der Belastung, verwandelt Schwäche in Stärke, führt nicht gegeneinander, sondern zu einander. Wachsames Erinnern ist der Schutz der Freiheit. Vergessen wir Unfreiheit, Verfolgung und Vernichtung, bringen wir die Freiheit selbst in Gefahr. Deshalb gilt: Vergessen ist unmenschlich, Gedenken macht das leben menschlich.  Mögen wir aus der Geschichte lernen und unsere eigene Verantwortung übernehmen. Wir sind verantwortlich für das, was geschehen ist. Aber die Verantwortung für die Gegenwart und für die Zukunft können wir nur übernehmen, wenn wir die Vergangenheit fest im Auge haben und reflektieren.  Es muss ein Erinnern geben, es darf kein Vergessen eintreten.“

Aus diesem Grund haben sich Frauenbeirat und Frauenreferat des evangelischen Krichenkreises entschlossen, an dieser Stolpersteinverlegung teilzunehmen und die Patenschaft für zwei Steine zu übernehmen.

Wir denken an
Hertha Becker, geb. Perlstein.
Sie wurde am 12. Oktober 1901  geboren. Sie heirate am 3. April 1928 den katholischen Kaufmann Ferdinand Becker. Die Ehe wurde 1936 geschieden. Vermutlicher Hintergrund sind hierfür die Nürnberger Rassegesetze vom 15. September 1935.
Bis zur Deportation nach Riga im Jahre 1942 wohnte sie in der Essener Str.  22.
Sie verstarb am 1. Januar 1945 im Konzentrationslager Stutthof.

Wir denken an
Hedwig S. Perlstein, geb. Heimbach, die am 9. April 1912 in Laer geboren wurde und mit ihrer Familie in Dorsten lebte.
Sie wurde am 13. Dezember ins Ghetto Riga deportiert.  Dort wurde Sie ermordet.

Paten:
Frauenbeirat und Frauenreferat des evangelischen Kirchenkreises Gladbeck-Bottrop-Dorsten (Frau Petra Masuch-Thies).

Wortbeitrag/Lebenslauf  zur Verlegung der Stolpersteine von Ursel, Ingeborg und Robert Perlstein

Zur Erinnerung an die drei Geschwisterkinder Ursel, Ingeborg und Robert Perlstein werden heute hier, vor ihrem alten Wohnhaus Stolpersteine verlegt.

Der Vater Hermann Perlstein hatte hier im Hinterhof eine eigene Metzgerei, mit der er seine Familie ernährte. Unter dem immer stärkeren Druck der Verfolgung wanderte die Familie 1938 nach Rethel-Ardennes in Frankreich aus. Nachdem die Deutsche Wehrmacht Frankreich besetzt hatte, wurden die Perlsteins zunächst in ein Konzentrationslager nach Süd-Frankreich verschleppt und von dort 1942 in das Vernichtungslager nach Auschwitz deportiert.

Was bedeutete eigentlich Deportation und was eine Fahrt nach Auschwitz?

Die Menschen wurden unter unmenschlichen Bedingungen in Güterwaggons zusammen-gepfercht. Manche hatten „Glück“ und saßen an den Wänden der Waggons, so dass sie sich wenigstens anlehnen konnten. Andere mussten Tage lang stehen, während der Zug halb Europa durchquerte. Durch Kälte oder Hitze, durch Durst oder Hunger starben viele von ihnen schon während der Fahrt.

Aber nicht aus Versehen, sondern geplant und in mörderischer Absicht. Manchmal blieb der Zug tagelang irgendwo stehen. So quälte man viele absichtlich schon auf dem Transport zu Tode.

In Auschwitz angekommen begann schon auf der Bahnrampe die Selektion.

Bei dieser Aussortierung wurde entschieden, wer sofort ermordet wurde und wer noch einige Wochen arbeiten durfte. Alle Kinder wurden sofort in die Gaskammern gebracht.

Die Geschwister Perlstein waren Kinder.

Ursel Perlstein wurde im Alter von 12 Jahren in Auschwitz ermordet.

Ingeborg Perlstein durfte nur 10 Jahre alt werden.

Ihr Bruder Robert musste im Alter von nur 5 Jahren in Auschwitz sterben.

Die Eltern der Drei erlitten dasselbe Schicksal.

Die Perlsteins waren Dorstener. Die Nazis wollten sie auslöschen. Aber wir haben sie nicht vergessen.

Paten: Klasse 10b (2006/2007)  der Gerhart-Hauptmann-Realschule Dorsten mit ihrem Lehrer Werner Thies

Es wurden außerdem Steine verlegt für die Eltern von Ursel, Ingeborg und Robert Perlstein: Hermann Perlstein und Grete Perlstein geb. Meyer.

Paten: Klasse 12 (2006/2007) des Gymnasiums Petrinum mit ihrem Lehrer Dr. Josef Ulfkotte

 

Wortbeitrag/Lebenslauf zur Verlegung des Stolpersteines von Walter Perlstein

Er wurde 1903 als siebtes Kind von Amalie und David Perlstein geboren. Er war kaufmännischer Angestellter und wohnte in Dorsten im Haus seiner Eltern in der Essener Strasse.

Weswegen er 1936 seinen Wohnort kurzfristig nach Kall/Eifel, dem Geburtsort seiner Mutter, verlegte, wissen wir nicht. Jedoch lebte er wieder in Dorsten, als er 1939 nach Laer als Erdarbeiter in ein Aufbaulager ging. In Laer heiratete er Hedwig Heimbach. Ihr gemeinsames Kind Reha wurde im Oktober 1940 geboren.

1941 wurden alle drei ins KZ Riga deportiert.

Dass in Laer noch Walter Perlsteins einzige Tochter Reha geboren wurde, erfuhren wir erst bei unseren Nachforschungen über seinen Lebenslauf.

Für die kleine Reha verlegt Gunter Demnig heute noch keinen Stein.

Wir glauben aber, dass solche Informationen, wie wir sie hier erst jetzt gefunden haben, deutlich machen, wie wichtig die Stolpersteine sind, damit keine der Opfer, wie klein sie auch gewesen sein mögen, dem Vergessen anheim fallen.

Paten: Die Gruppe „Frauen für den Frieden“ Dorsten

Wortbeitrag/Lebenslauf zur Verlegung des Stolpersteines von Reha Perlstein

Der Vater von Reha Perlstein, Walter Perlstein,  ist in Dorsten in  der Essener Straße aufgewachsen.Wir wissen über Walter, dass er sehr aktiv als ehrenamtlicher  Fußballschiedsrichter fungiert hat. Der Beruf wurde mit Handlungsgehilfe und Handelsvertreter angegeben. Mit der angestrebten „Ausschaltung der Juden aus dem deutschen  Wirtschaftsleben“ wurden Juden zur Arbeit zwangsverpflichtet. Auch  Walter Perlstein verliert seine Arbeit und kommt am 1. Januar 1939 in  ein sogenanntes „Aufbaulager“, später auch Judenlager genannt, in Laer. Dieses Lager wurde 1936 in einer  ehemaligen Ziegelei erbaut und war zunächst gedacht für Arbeitslose  aus dem Ruhrgebiet. Es unterstand dem „Wasser- und Bodenverband  Steinfurter Aa“. In der Arbeits-Bestandsliste von 1939 werden 36 Juden  genannt, die meisten stammten aus Westfalen, u. a. zwei Dorstener, Max Metzger und Walter Perlstein. Sie wurden zu  Flussregulierungsarbeiten eingesetzt. Das Lager war durch Drahtzaun, Busch- und Baumbestand vor neugierigen Blicken geschützt. Bewacht wurde es von einem zivilen  Lagerführer. Die einzige Ausstattung bestand nach einem Bericht eines Überlebenden aus Strohsäcken.

Die Mutter, Hedwig Perlstein, geborene Heimbach, arbeitete bis 1936 in  Beckum als Verkäuferin und wohnte dann in Münster und Dorsten.Am 9. Oktober 1939 heiratet sie Walter Perlstein. Es war die letzte jüdische Trauung in Laer. Trauzeuge war auch Max Metzger, der ebenfalls als „Notstandsarbeiter“ im  „Aufbaulager“ tätig war.

Ab 1940 wohnten Walter und Hedwig Perlstein in Laer, Dorf Nr. 86.  Walter geht von dort zum Arbeitseinsatz. Später wird das Haus zum  Judenhaus umgewidmet und weitere jüdische Familien werden in das Haus eingewiesen.

Am 27. Oktober 1940 wurde dem Paar die Tochter Reha Perlstein geboren.  Der bislang unter den jüdischen Familien ungebräuchliche Vorname  „Reha“ war vom NS-Staat durch das Verbot erzwungen worden, christliche  Vornamen zu wählen. Zunächst stand das Paar auf einer „Zusatzliste“  für die Verschickung von „Arbeitsfähigen“ in den Osten. Da andere  Leidensgenossen jedoch zurückgestellt wurden, rückten sie nach und  wurden am 13. Dezember 1941 zunächst zum Sammelort in Münster gebracht  und von dort aus mit einem Bahn-Transport von über 1.000 Personen in  drei Tagen in das Ghetto Riga deportiert.

Reha war das jüngste Kind dieses Transportes, gerade 14 Monate alt.  Weitere Lebenszeichen sind nicht vorhanden, der Todeszeitpunkt ist  unbekannt.

Paten: Mitglieder des Chores Tonis

Fotos: Quelle WAZ